25. April 2022. Es war die absolut richtige Entscheidung, die erste Etappe des Jakobswegs von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Roncesvalles in zwei Teilstücke zu splitten. Und das aus drei Gründen: Ich hätte sie erstens vermutlich mit Hängen und Würgen geschafft, wäre aber danach so erschöpft gewesen, dass ich einen Tag hätte pausieren müssen. Zweitens war das Wetter heute ein Traum, so dass meine Pilgergruppe und ich in den Pyrenäen spektakuläre Ausblicke genießen durften (Bildergalerie unten). Drittens schließlich hätten wir ohne die Übernachtung in Orisson nicht das tolle Ritual beim Abendessen in der Herberge von Orisson erlebt, bei dem sich alle kurz vorstellten und erzählten, warum sie den Camino gehen.
Da sind zum Beispiel die beiden Amerikanerinnen, die schon im College Zimmergenossinnen waren und den Camino am 60. Geburtstag der einen begonnen haben und am 60. Geburtstag der anderen vollenden wollen. Oder die Italienerin, die keine andere Sprache spricht als Italienisch und trotzdem den Mut hat, den Camino ganz allein für ihren verstorbenen Vater zu gehen. Oder den Mann, der den Camino zum sechsten Mal (!) geht, einfach weil er nicht anders kann. Oder der Mittsechziger aus Australien, der zehn Jahre vom Camino geredet hat, bis seine Kinder ihn anflehten, es nun doch endlich zu tun. Oder Rachel aus Südengland, die “for adventure” unterwegs ist. Wir bewundern sie alle dafür, dass sie im Baumwollkleidchen die Pyrenäen durchsteigt, während wir uns auf unsere Hightech-Fasern verlassen. Aber Rachel findet es einfach bequemer so.

Nun zur heutigen Etappe: Auf dem Programm stand ein Aufstieg von weiteren 600 Höhenmetern, aus dem durch das Auf und Ab dann 730 Meter wurden. Wir liefen 21 Kilometer von Orisson über Roncesvalles und dann noch ein kleines Stück weiter nach Burguete, weil wir die Massenunterkunft im Kloster von Roncesvalles meiden wollten. Dabei passierten wir die französisch-spanische Grenze etwa auf halber Strecke. Der Aufstieg fiel uns leichter als am Vortag, weil er sich bei ähnlichem Höhenunterschied über die doppelte Distanz des Vortags erstreckte. Außerdem wartete in der ersten Hälfte ein Food-Truck, an dem wir uns gestärkt haben. Das Wetter und der Ausblick entschädigten uns für die Plackerei. Fazit: Ich laufe mich ein und komme in den Flow.
Unterwegs gingen mir wieder viele Gedanken durch den Kopf. Gestern habe ich erklärt, warum ich in diesem Blog nicht gendere. Heute will ich ein paar Ideen zur Diskussionskultur im TV und Internet loswerden. Ich halte mich weitgehend aus Facebook, Twitter & Co. raus und schaue sehr selten Talkshows, weil ich es unerträglich finden, welcher Umgangston dort streckenweise herrscht und aus welch nichtigen Anlässen heute Shitstorms losbrechen.
Deshalb hier drei Vorschläge:
- Lasst uns einander genau zuhören, bevor wir etwas sagen, damit wir wirklich verstehen, was der andere meint. Fragen wir im Zweifel nach, und klären wir die Fakten sorgfältig.
- Gehen wir beim Gesagten im Zweifel immer von der positivsten Auslegung aus und unterstellen wir dem Gegenüber immer die besten Absichten.
- Persönliche Angriffe unterlassen wir, denn die lenken nur von der Sache ab. Bleiben wir hart in der Sache, aber verbindlich im Ton.
Zum Thema Diskussion und Argumentation empfehle ich nachdrücklich die LinkedIn-Slideshows von Pro Argument. Dort erklären zwei Trainer für Argumentation und Manipulationsabwehr an aktuellen Beispielen sehr anschaulich, wie man gut, sicher und integer argumentiert sowie unlautere Methoden aufdeckt und wirksam kontert.
Ein Gedanke zu „Etappe 2: Roncesvalles – die absolut richtige Entscheidung“