20. Juni 2022. Fast drei Wochen nach meiner Rückkehr ist es nun an der Zeit, auch über die menschlichen Schwächen meiner lieben Mitpilger zu sprechen. Hier sind sie, die zehn Typen auf dem Camino, die mir streckenweise auf den Senkel gegangen sind, auch wenn sonst alles gaaanz entspannt war:
- Überholer-Bremser. Wir gehen den Camino in unterschiedlichem Tempo, und Überholen ist vollkommen OK. Aber wer überholt, um dann wieder langsamer zu werden und den Überholten zu blockieren, der hinterlässt mich ratlos. Vor allem, wenn ich dann meinerseits überhole, um dann erneut vom Überholer-Bremser überholt und ausgebremst zu werden. Das kannte ich bisher nur von deutschen Autobahnen.
- Stockspitzenschwinger. Wanderstöcke sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Ausrüstung. Da man sie nicht überall braucht, kann man sie ruhig in einer Hand tragen, zum Beispiel auf flachen Stücken oder in der Stadt. Manche vergessen dabei aber, dass das rhythmische Schwingen der Arme im Gehen zwangsläufig die Stockspitzen in für den Hintermann gefährliche Höhen befördern kann. Deshalb die herzliche Bitte an alle Stockschwinger: Spitzen immer in Gehrichtung und zum Boden weisend tragen. Noch besser: Am Rucksack gibt es Schlaufen, da kann man die Dinger festmachen, wenn man sie nicht braucht.
- Stockstecher. Wanderstöcke sind nützlich, das sagte ich schon. Aber warum man den Gummipfropfen zwanghaft entfernen und die Stockspitze, die aus dem sehr harten Metall Wolfram gefertigt ist, beim Wandern buchstäblich in den Asphalt oder den getrockneten Feldweg rammen muss, erschließt sich mir nicht. Das Geräusch tut wirklich weh. Einzige Gegenmaßnahme: eine Trinkpause einlegen und hoffen, dass der Stockstecher danach weit genug von dannen gestöckelt ist.
- Muschelklapperer. Als Erkennungszeichen haben fast alle Pilger eine Jakobsmuschel am Rucksack befestigt. Wobei “befestigt” leider relativ ist: Bei manchen fällt die Muschel zwar nicht vom Rucksack, aber sie klappert unablässig, weil sie gegen irgendwelches Zubehör am Rucksack schlägt. Ich habe das bei mir selbst genau eine Etappe ausgehalten und dann behoben.
- Beschaller. “Musik wird störend oft empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden”, schrieb schon der Dichter Wilhelm Busch. Einige auf dem Camino haben das anscheinend verdrängt, denn im Schnitt wird man täglich einmal durch einen dröhnenden Rucksack aus der pilgerlichen Kontemplation gerissen. Wenn es ein Radpilger ist, dann geht das zum Glück schnell vorbei, aber wie ignorant muss man als Wanderer sein, anderen seinen Musikgeschmack aufzudrängen?
- Miefi. Dieser Typ ist mir zum Glück ganz selten begegnet. Aber es gibt auf dem Camino Menschen, die sich offenbar die Freiheit nehmen, die in den Herbergen verfügbaren Duschen nicht zu benutzen. Nun duften wir, wie ich bereits in einem früheren Beitrag sagte, ab Woche zwei eh alle etwas fragwürdig, aber das heißt nicht, dass man unterwegs einen Gestank nach sich ziehen muss, in dem Mücken abstürzen.
- Dampfwalzen. Sie sind eine Variante des Typs 1, aber sie sparen sich das Überholen und blockieren gleich. Sie treten immer in Gruppen von mindestens drei Personen auf und nehmen die volle Breite des Weges ein, die Wanderstöcke breit aufgesetzt. Dezente Hinweise nonverbaler Art, dass man überholen möchte, ignorieren sie geflissentlich, auch weil sie meist in ein angeregtes Gespräch vertieft sind. Als Strafe dafür schlage ich den temporären Entzug der Wanderstöcke vor.
- Massenstempler. Diese Gattung trifft man bevorzugt auf den letzten 100 Kilometern, auf denen der Camino zum Kommerz wird, weil man 100 Kilometer braucht, um die Pilgerurkunde, genannt Compostela, zu erhalten. Auf den Etappen ab Sarria kommt es oft vor, dass ein Pilger mit einem ganzen Stoß von Credenciales, also Stempelheftchen, zum Stempeln kommt. Und da die wenigsten Stempler bei der guten alten Bundespost gelernt haben, wo sowas fix ging, dauert es ewig, bis man dann auch den Stempel bekommt. Vielleicht erweist der Massenstempler ja seiner Gruppe einen Dienst, dann könnte ich damit leben. Aber man hört immer wieder Geschichten, dass gestempelte Heftchen an Leute verscherbelt werden, die sich damit eine Compostela erschleichen.
- Vielfotografierer. Ich bin nach fünfeinhalb Wochen mit ein paar hundert Fotos vom Camino heimgekehrt. Das schafft der Vielfotografierer locker in weniger als einer Woche. Er hebt gefühlt alle 50 Meter das Smartphone, um einen angeblich unvergesslichen Moment oder eine spektakuläre Aussicht festzuhalten, gerne auch als Selfie. Sehr speziell war ein Mitpilger aus Berlin, der andauernd Kanaldeckel (!) fotografierte, weil dort der Name der Gemeinde draufstand. OK, es war sein Hobby, er hatte Tausende von diesen Bildern.
- Radpilger. Wenn man den Camino nicht zu Fuß gehen kann, ist es völlig OK, wenn man ihn radelt. Für meinen Freund Gary und seinen Vater Nick war das die Rettung, als der alte Herr einen dicken Knöchel bekam und nicht mehr gehen konnte. Aber warum müssen Radpilger mit einem E-Mountainbike auch die engsten Wanderwege nehmen, wenn es eine alternative Route für sie gibt, vor allem auf den letzten 100 Kilometern? Für mich bleibt es dabei: Freiwilliges Radpilgern hat etwas von einem Crashkurs in Achtsamkeit.
Und zum Schluss noch drei wichtige Hinweise an meine Mitpilger. Nicht alles, was Ihr Euch auf dem Camino angewöhnt habt, kann und soll zu Hause so weitergehen:
- Verhalten im Restaurant. Bitte lasst im Restaurant die Schuhe und um Gottes Willen die Socken an, auch wenn Ihr draußen sitzt! Und hängt nicht an jede Bestellung eines Biers das Wort “groß” an. Die “cerveza, grande, grande” auch “jarra” genannt, sollte man nur bestellen, weil in Spanien Bier lustigerweise auch und standardmäßig in 0,25-Liter-Flaschen und -Gläsern verkauft wird. Das gibt es in Deutschland höchstens in Köln und Düsseldorf, weil Kölsch und Alt schnell schal werden. Aber dort legt der Köbes ja auch ungefragt 0,2 Liter nach, solange man nicht explizit ablehnt. Und die Bayern wundern sich sowieso, denn da ist die kleinste Menge die Halbe, und das ist schon 0,1 Liter mehr als eine “jarra” in Spanien.
- Gesprächsthema Gesundheit. Sprecht in der Öffentlichkeit nicht über Eure Blasen und zeigt sie schon gar nicht herum! Dafür gibt es Ärzte und Fußpfleger, die müssen sich sowas ansehen. Alle anderen NICHT!
- Garderobe. Wechselt Eure Kleidung wieder regelmäßig und schnüffelt vor allem nicht an Eurem T-Shirt und sagt dann laut: “Das geht noch einen Tag.”
Hinweis: In der Überschrift steht “Nachklapp 1”. Also bleibt dran und abonniert den Newsletter, es gibt mindestens noch einen Nachklapp 2…
Nachklapp 1: Die 10 nervigsten Typen auf dem Jakobsweg – und 3 schlechte Angewohnheiten