Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago - die letzten hundert Kilometer

23. bis 28. Mai 2022. Ich bin am Ziel meiner Reise angekommen! Um die Mittagszeit des 28. Mai lief ich vor der Kathedrale von Santiago de Compostela ein, begleitet von meinen australischen Freunden Deborah und Robert, die ich auf der Zielgeraden zufällig traf, nachdem ich sie Wochen nicht gesehen hatte. Ich war erschöpft und angeschlagen, da ich mir am Abend zuvor eine Lebensmittelvergiftung zugezogen und eine fürchterliche Nacht hinter mir hatte. Aber notfalls wäre ich die letzte Etappe von O Pedrouzo auch gerobbt.

Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago - die letzten hundert Kilometer
Deborah und Robert versorgten mich mit Früchten, bevor sie mich auf dem letzten Kilometer zur Kathedrale von Santiago eskortieren.

Die letzten hundert Kilometer sind mit dem Rest des Jakobswegs kaum zu vergleichen. Zwar führen sie immer noch durch die wunderbare galicische Landschaft, also durch einen hügeligen, sattgrünen Landstrich, der für mich den schönsten Abschnitt des Camino darstellt. Aber ab Sarria füllt sich der Jakobsweg mit zahlreichen Schüler- und Reisegruppen, von denen die meisten genau ein Ziel haben – mindestens 100 Kilometer zu wandern, um die Compostela zu bekommen. Das ist eine lateinische Urkunde, die dem Pilger bescheinigt, dass er den Jakobsweg gegangen ist. Und dafür genügt der Einstieg in Sarria.

Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago - die letzten hundert Kilometer
Für die Pilgerurkunde muss man wie bei einer Behörde eine Nummer ziehen. Wichtiger und auch schöner als Erinnerung ist für viele jedoch der Pilgerpass mit den vielen Stempeln, die man unterwegs gesammelt hat.

Auf dem Camino herrscht demzufolge ab Sarria eine Atmosphäre, die mich stark an einen Wandertag oder Betriebsausflug erinnert. Viele kleine Rucksäcke, saubere Schuhe, weiße Leggings und auf einmal Spanisch als vorherrschende Sprache. Erschwerend kommt hinzu, dass ich an einem langen Wochenende auf Santiago zulief, was die Zahl der Kurzstreckenpilger sicher nochmals erhöht hat. Nachdem wir Langstreckler uns fast 680 Kilometer lang gegenseitig “Buen camino” gewünscht hatten, wenn wir uns begegneten oder einer den anderen überholte, war das bei den Massen, die ab Sarria unterwegs waren, schlicht nicht mehr praktikabel. Wir lösten das so, dass wir Größe des Rucksacks und Zustand der Schuhe taxierten und uns dann “unter Langstrecklern” einen guten Weg wünschten.

Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago - die letzten hundert Kilometer
Ab Sarria dominieren kleine Rucksäcke, Turnschuhe und Leggings.

Der Rucksack ist übrigens nicht immer ein sicheres Indiz, weil es auch Pilger gibt, die ihren Rucksack transportieren lassen. Das funktioniert erstaunlich gut und verlässlich. Man befestigt ein Tütchen mit einem ausgefüllten Vordruck und einem Fünf-Euro-Schein am Transportgut, und wenn man am angegebenen Zielort ankommt, ist der Rucksack meist schon da. Ich habe den Service nie für meinen Rucksack genutzt, aber er half mir einmal sehr, als ich eine Tüte mit meinem Ladegerät in einer Herberge vergessen hatte. Zwei Tage später hatte ich das Ladegerät wieder in Händen. Camino-Puristen schauen etwas auf die Leute herab, die den Transportservice nutzen, aber ich finde, dass er manchen Leuten überhaupt erst ermöglicht, den Jakobsweg zu gehen.

Eine weitere Veränderung ab Sarria ist die Kommerzialisierung des Jakobswegs. Die Zahl der Herbergen, Andenkenläden, Restaurants und Verkaufsautomaten vervierfacht sich gefühlt, und der Betrieb ist deutlich straffer durchorganisiert als auf den 680 Kilometern davor. Ab Sarria findet man zum Beispiel in fast jeder Bar ein Camino-Bier der galicischen Großbrauerei Estrella. Es handelt sich um ein Weißbier, das auch aus bayerischer Sicht als halbwegs gelungen durchgehen kann.

Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago - die letzten hundert Kilometer
Kurios: Das Camino-Bier der spanischen Großbrauerei Estrella ist eigentlich ein Weißbier.

Ansonsten sind die letzten hundert Kilometer eher arm an spezifischen Höhepunkten, wie wir Langstreckler sie zum Beispiel am Weinbrunnen in Irache, in der Sierra del Perdón und am eisernen Kreuz erleben durften. Deshalb würde ich nur zur Kurzstrecke raten, wenn es die Zeit und die körperliche Verfassung nicht anders erlauben. Ich persönlich werde diesen Abschnitt meiden, falls ich jemals wieder einen Camino gehe.

Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago - die letzten hundert Kilometer
Das obligatorische Selfie am Ziel vor der Kathedrale von Santiago de Compostela.

***

In diesem Beitrag möchte ich ein politisch besonders heißes Eisen anfassen: die Corona-Impfpflicht. Dazu habe ich bereits Ende November 2021 für mich die wesentlichen Argumente niedergeschrieben. Im Kern sehe ich meine Analyse auch heute noch als valide an. Hier der Text:

Die Entscheidung, sich (nicht) gegen Covid 19 impfen zu lassen, ist eine höchstpersönliche. Eine generelle Impfpflicht ist mit einem liberalen Menschenbild und einer freiheitlichen Gesellschaft kaum in Einklang zu bringen. Befürworter wie Gegner können hier gleichermaßen das Recht auf körperliche Unversehrtheit ins Feld führen.

Höchstpersönlich ist die Entscheidung auch, weil jeder Einzelne für sich die möglichen Risiken und den potenziellen Nutzen abwägen muss. Und dies noch unter dem Vorzeichen der Ungewissheit, denn wir haben kein vollständiges Bild von Risiken und Nutzen.

Für den Moment kann das Folgende als bekannt und gesichert gelten:

  • Eine Impfung schützt wie versprochen in hohem Maß, aber nicht vollständig vor einer Infektion.
  • Die Impfung verringert die Wahrscheinlichkeit von schweren Verläufen und das Todesfallrisiko deutlich.
  • Je älter der Geimpfte, desto schwächer der Schutz, und desto früher wird eine Nachimpfung empfohlen.
  • Auch Geimpfte können das Virus verbreiten, sie sind allerdings weniger lange und weniger stark infektiös.
  • Boostern verbessert den Schutz.
  • In sehr wenigen Fällen ist es nach dem Impfen zu schweren Nebenwirkungen gekommen. Vereinzelt wird von Todesfällen berichtet.
  • Die Auswirkungen der Omikron-Variante sind noch zu bewerten. Sie ist anscheinend sehr viel infektiöser als alle Varianten vor ihr, aber auch durch leichte Verläufe gekennzeichnet.
  • Geimpfte über 60 Jahre sind 20mal besser davor geschützt, auf eine Intensivstation zu kommen. Bei Personen zwischen 18 und 60 Jahre ist der Schutz zehnmal besser.
  • Geimpfte über 60 Jahre sind neunmal besser davor geschützt, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Bei Personen zwischen 18 und 60 Jahre ist der Schutz siebenmal besser. Intensivstationen sind hier herausgerechnet.
  • Die Verläufe bei Kindern und Jugendlichen unter 18 sind in aller Regel leicht oder symptomfrei. In Einzelfällen kommt es zu Long Covid.
  • Weder die Langzeitfolgen der Impfung noch die Langzeitfolgen einer Infektion sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriös einzuschätzen.
  • Würde die Impfquote in Deutschland beim aktuellen Stand von ca. 70 Prozent bleiben, würden 2022 etwa 170.000 Menschen zusätzlich an oder mit Covid 19 versterben. Hinzu kämen Todesfälle in unbekannter Zahl durch unterbliebene Operationen, weil die Krankenhausbetten für Covid-19-Patienten benötigt wurden.

Daraus folgt:

  • Für die individuelle Abwägung: Je älter eine Person, desto mehr überwiegt der potenzielle Nutzen den möglichen Schaden einer Impfung.
  • Für die gesamtgesellschaftliche Abwägung: Eine Impfpflicht ist nicht zu begründen, da die Kenntnisse über Risiken und Nutzen der Impfung bei weitem nicht ausreichen. Risiken und Chancen sind fair und transparent zu kommunizieren.
  • Die Impfung von Kindern ist zurzeit kaum zu begründen.
Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago – die letzten hundert Kilometer

Beitragsnavigation


2 Gedanken zu „Etappe 28 bis 33: Über Sarria nach Santiago – die letzten hundert Kilometer

  1. Herzlichen Glückwunsch Thomas und höchsten Respekt, dass Du es durchgezogen hast! Erhol Dich möglichst schnell und GUT.

    Beste Grüße aus Bavaria

    Roman

  2. Lieber Roman,

    vielen Dank für Deine Worte, ich bin wohlauf, und morgen geht‘s für mich zurück in die Heimat. Ich habe noch ein paar Artikel in Planung.

    Dank & Gruß

    Thomas

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Cookie Consent mit Real Cookie Banner