24. April 2022. Ein wenig aufgeregt war ich heute früh schon. Um 8 Uhr wollten wir nach Orisson aufbrechen, dem ersten Etappenziel. Die Pilgerherberge von Orisson ist zwar nur 7,5 Kilometer entfernt, aber sie liegt auf 800 Meter Höhe und damit 600 Meter höher als Saint-Jean-Pied-de-Port. Das ist für sich genommen und bei meinem Trainingsstand schon knackig. Noch vor dem Start kam die erste Überraschung: Ich hatte aus Versehen den Wecker im iPhone auf 6.30 Uhr wochentags gestellt, was am Sonntag keine gute Idee ist. Verschlafen. Eine Stunde vor dem Abmarsch meiner Pilgergruppe packte ich vor dem Frühstück den Rucksack, aber die Routine fehlte noch. Dann die Whatsapp von Christiane um 7.40 Uhr, dass die Gruppe schon mal losgeht. 20 Minuten früher als geplant. Und ich dachte, der Jakobsweg sei kein Stress…
Freundlicherweise hat ein Teil der Gruppe dann doch auf mich gewartet. Der Weg nach Orisson hat auf der “Napoleon-Route”, die im Winter gesperrt ist, ein paar spektakuläre Anstiege zu bieten, auf denen dann doch jeder sein eigenes Tempo ging. Lustig finde ich übrigens die Fahrradpilger. Die sind am Berg kaum schneller als wir zu Fuß, aber haben keine Chance, sich unterwegs mit anderen Pilgern zu unterhalten. Meins wär das nicht…
Die Herberge von Orisson erreichten wir um 10.15 Uhr. Nach zwei Milchkaffees war die Welt wieder eine andere, und ich wäre fast versucht gewesen, 18 Kilometer und weitere 600 Höhenmeter bis Roncesvalles draufzulegen, aber Pilgern ist kein Leistungssport, und meine Gruppe ist einfach zu nett.

Die Unterkunft hat den Charme einer Jugendherberge. Ich habe schon ewig nicht mehr in einem Sechserzimmer mit Stockbetten geschlafen, das wird lustig… Die Dusche funktioniert nur mit einem Jeton (im Preis von 44 Euro inbegriffen), dann gibt es fünf Minuten warmes Wasser. Um 18.30 Uhr servieren die Wirtsleute das Abendessen, und wenn das immer noch so ist wie auf YouTube gesehen, dann dürfen alle, die wollen, nacheinander aufstehen und auf Englisch sagen, warum sie auf dem Camino sind.

Abschließend noch ein kleiner sprachlicher Hinweis aus der Regie für alle, die gendern: Ich mag einfach nicht “Pilgernde” schreiben, weil ich finde, dass das blöd klingt. Pilger sind in meiner Diktion Menschen jeglichen Geschlechts und jeglicher sexueller Orientierung. Auf dem Camino sind wir alle gleich, und spätestens ab der zweiten Woche duften wir auch alle gleich. Die Beidnennung “Pilgerinnen und Pilger” ist auf Dauer recht mühsam und schließt ja auch nicht alle Menschen ein. Also bleibe ich bei „Pilger“. Ich hoffe, Ihr toleriert das. Es steckt keine Agenda dahinter. Wer mich kennt, weiß, dass ich gegenteilige Ansichten ganz gut aushalte. Schreibt dem alten weißen Mann einfach eine Mail oder einen Kommentar, wenn Ihr eine bessere Idee habt. Aber denkt dran: Beim Beschimpfen immer höflich bleiben.